September 24, 2008

Wolfgang Libal (1912-2008)

ELEGANZ DER ERFAHRUNG
Mit Wolfgang Libal und Christine von Kohl auf Überlandpartie
von Herbert Maurer

„Christl, bitte nicht schon wieder“ … „Wolfili, ich fahre nicht zu schnell … „. Ein die Existenz beschwörender oder die Existenz retten wollender dezenter Hilfeschrei, Teil eines Dialogs, der in einem viel zu kleinen Mietauto bei überhöhter Geschwindigkeit auf einer unübersichtlichen Landstraße im nord-niederösterreichischen Hügelland in Richtung Niederleis in Gegenwart des Autors dieser Zeilen (auf dem Rücksitz) so stattgefunden hat. Der Grund für den riskanten Ausflug zweier weit über 80jähriger: Einige Flaschen Rotwein, die wegen der Straßenunebenheiten im Kofferraum schepperten, sollten neu befüllt werden.

Besagter Herr, „Wolfili“, auch Herr Doktor genannt, oder „Ernst Jünger, frisch vom Pferd gestiegen“ sieht ohne Panik aber sehr bestimmt und dann doch wieder unverwandt in die Landschaft hinauf. „Du sag, wohnen da nicht die Soundsos – er deutet großzügig in die Landschaft. Auf einer Anhöhe ist eines der üblichen Schlösschen eines Landadeligen auszumachen, ob gerade verspekuliert oder verspielt oder verfallen, ist bei der Fahrtgeschwindigkeit nicht auszumachen. Aber nein, da wohnen doch die Soundsos, die auch bei Deinem Geburtstag waren. „Also die Aussicht in Prag, von der Botschaft, man erspart sich jeden Spaziergang, die Stadt ist hingebreitet, der Frühlingshügel … Christl, es waren aber doch die von damals nicht … In weiterer Ferne, auf einem Höhenrücken sind die Kuppeln der österreichischen Abhörzentrale nahe der tschechischen Grenze auszumachen, streng geheim und ziemlich systemrelevant (für welches System?), ein High-Tech Objekt aus der Zeit des Kalten Krieges, als die Grenze zu Tschechien noch eine richtige Grenze war. Die Bausubstanz der weiß-schimmernden Polyeder ist ebenso brüchig wie die Immobilie des wegen der „Kosten über Kosten“ längst selbstmordgefährdeten adeligen Soundso. Im besagter Bewaldung nahe der nachrichtendienstlich überschatteten Anlage liegt eine Wiesenhang in der Sonne, auf dem wenige Jahre später eine illustre Runde von Journalisten und lesenden Menschen lustwandelte, um die Asche des neben seiner „Christl“ in die Landschaft weisenden Herrn Doktor oder „Ernst Jünger, frisch vom Pferd gestiegen“ in den Wind zu streuen. Ein Hauch von Doktor Libal wurde wohl auch über die grüne Grenze und die Todeszone vom idyllischen Österreich ins leicht verwilderte, postkommunistische Tschechien geweht, die zweite Heimat des würdigen Weißhaarigen in dem weißen Auto von damals auf der Suche nach Wein.

Über die Grenzen hinweg

Gemietet war der Wagen von Christine von Kohl, also Wolfgangs „Christl“, einer dänischen Journalistin, Menschenrechtsaktivistin und Balkanexpertin, so wie ihr Mann. Während sie nicht nur im Weinviertel, sondern auch auf den verschlungenen Straßen der Balkanstaaten mit einer Passion für Tempo, Grenzüberschreitung und das Abweichlerische vom Mainstream unterwegs war, pflegte Dr. Libal einen bedächtigeren Umgang mit dem, was ihm und damit uns, den Lesern seiner Bücher, in den Balkanländern an Geschichte und Lokalkolorit entgegenkam. Wer sich für den Balkan im weitesten Sinn interessiert, dieses Konglomerat an möglichen und unmöglichen Staaten und Kulturen, Religionen, Atheismen und Archaismen, kleinen und großen Katastrophen, leiser und laut um Hilfe schreiender Lyrik, der kommt an der Lektüre der Bücher dieser beiden nicht vorbei. Ihre Karrieren hatten jedoch ganz anders begonnen und sie hatten erst später Kurs auf Südosteuropa genommen: Christine von Kohls Dänemark war und ist alles andere als ein Balkanstaat, wenn auch dort wie da ein Hauch von laissez faire, von historisch bedingter Lässigkeit in der Luft liegt, Wolfgang Libals Tschechien, das Geburtsland eines slawophilen Sudetendeutschen, war und ist wiederum das genaue Gegenteil eines Balkanstaates oder will es zumindest sein, immerhin liegt ja Böhmen auch nicht am Meer. Die spätere „Dänin am Balkan“ (ein sehr analytisches Erinnerungsbuch von ihr trägt diesen Titel) zuvor eine „Dänin in Berlin“, die stets gerne von der Villa ihrer Eltern in Grunewald erzählte, er – Louis von Kohl“ ein bekannter Kulturhistoriker und Sinologe, die Mutter eine Wienerin mit adeligem Background. Das elegante Berlin der 20er Jahre fand für die Verlagsmanagerin und angehende Journalistin im Frankfurt der 60er seine Fortsetzung, erst das Engagement im Helsinki-Komitee und die Übersiedlung als Korrespondentin nach Wien brachte sie – auch im geographischen Sinn, dem Balkan näher.

International statt national

Wolfgang Libal, der sein Prager Deutsch und den Klang des würdevollen Tschechisch der 20er Jahre mit Überzeugung auf den Lippen führte, war über die Jahrzehnte als Agentur-Journalist höchster Präzision verpflichtet, verbunden mit der Grandezza eines diplomatischen Geschulten – sein Sohn sollte dann später auch die diplomatische Karriere einschlagen und seine letzte Auslandmission in besagter deutscher Botschaft in Prag erfüllen. Der Unterschied zwischen dem ersten Dienstort Hamburg und viel später dann Wien konnte für einen distinguierten Stilisten und Gesellschafts-Analytiker wie Libal größer nicht sein

Als sich die beiden in den 60 in Wien, ihrem „Dienstort“ trafen, waren beide schon längst arrivierte Journalisten und Sachbuchautoren, es war mehr als „der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, es war eine mit großer Balance erlebte und ausgelebte Passion zu dem gemeinsamen Thema Balkan im weitesten Sinn, stets auf Reisen, bis ins höchste Alter, bei aller Liebe zur Gemütlichkeit, mit sehr prononciertem Tempo, so sehr, dass Thomas Bernhard, ein Freund der beiden, einmal fragte: Wann und wie und wo seid ihr eigentlich beisammen? Sie hatten gerade ein launisches Radiointerview zum Thema „Ehe unterwegs“ gegeben. Nach den bewegten und produktiven Jahrzehnte zwischen Belgrad, Kopenhagen, Prag und Wien waren die Aktivitäten der nunmehrigen Pensionisten nicht weniger bunt.

Unter Freunden

Wolfgang sagte etwas süffisant „Ruheständler“ zu diesem Zustand der umtriebigen Unruhe, unterbrochen nur durch den einen oder anderen gezielten und mit Freunden zelebrierten Heurigenbesuch. Chrstine von Kohl intensivierte ihre Vortragstätigkeit und gründete als Folge des Balkankrieges die bosnisch-herzegowinische, bzw. postjugoslawische Kulturplattform „Kulturni Centar“, Wolfgang war weiterhin bücherschreibend unterwegs und widmete sich zuletzt der Analyse divers post-tschechoslowakischen Phänomene. Vor alle, und das ist die Brücke zur Zukunft, die die beiden schlugen, wurden die Wohnungen in Wien, in der Benjowskigasse und in der Sieveringerstraße, aber auch die Heurigen in der Umgegend zu Treffpunkten der jungen Journalistengeneration, all jener, die nun „den Balkan neu denken wollten oder als Auslandskorrespondenten in Print, Radio oder Fernsehen jenen präzisen und eleganten Stil erlernen wollten, den die beiden, zwar aus anderen Zeit aber dann doch wieder zeitlos verkörperten. Kein Balkan-Journalist, der etwas auf sich hält, kommt an Libal/Kohl vorbei. Bis zuletzt pflegten die beiden ihren freundeskreis zwischen Politik, Diplomatie, den schönen Künsten, dem Journlismus und betrieben sehr gastfreundlich das, was man heute als „Netzwerken“ bezeichnen würde.

Charme des Erzählens

Doch zurück zum „Stil“, zu jenem eigentümlichen Cocktail aus Charme, historischem Wissen, Lebenserfahrung und professioneller Präzision, den die beiden gerne servierten: Wolfgang Libal war im Spannungsfeld zwischen Jaroslav Hasek und Ernst Jünger groß geworden, oder zwischen „seinem“ Fußballplatz in Melnik nördlich von Prag und diversen diplomatischen Vertretungen zwischen Paris und Bukarest. Die „Welt“ (er schrieb auch für die Tageszeitung desselben Namens) war nichts pathetisch Aufgeblasenes, kein Schlagzeilen-Gebrüll, sondern ein nuancenreiches, feinnerviges Gebilde, eine Zeitskulptur, streng in der Einschätzung und ästhetisch in der Schilderung zugleich. Die in dieser Welt agierenden Menschen, welche einfach nur ihr Leben retten wollten, waren keine Marionetten, keine Abziehbilder, sondern Wesen mit Sehnsucht nach einem klaren Gedanken, der mehr ist als nur eine Überschrift. Christine von Kohl ging das Thema Zivilisation etwas schwungvoller an. Ihre Gesprächspartner, und im Umgang mit Sprachen waren beide nie verlegen, waren stets „dramatis personae“, unentrinnbar mittendrin in ihrer Geschichte, wenn da nicht die Coolness der Hoffnung gewesen wäre, die die Frau Baronin vielen Verzweifelten mit Überzeugung vermittelte. Beruhigender- und irritierenderweise waren sich beide nie sicher, sie hatten kein Weltbild als Trost und Lösung anzubieten, nur, und das ist eine Kultur für sich, die Liebe zur Technik des Fragens und die Passion fürs verstehen Wollen. Die beiden haben insgesamt 148 Jahre gelebt, davon fast die Hälfte gemeinsam und wären heute 98 und 109 Jahre alt, wenn man ihre Texte liest, kommen sie einem aber vor wie „frisch vom Pferd gestiegen“.

Anekdoten:

CVK ist mit Thomas Bernhard in ihrem VW-Käfer auf dem Rückweg von einer Lesung in Eisenstadt. Finsterste Nacht, es schüttet in Strömen, die Straßen sind schlecht, der Rotwein war stark und gut eingeschenkt. In seiner Todesangst gibt der Schriftsteller die jeweiligen Abzweigungen bekannt und singt diese – rezitativ – im Mozart`schen Stil.
Noch zu Titos Zeiten wird bei einer Bärenjagd, zu der das diplomatische Cops von der jugoslawischen Regierung eingeladen war, ein Diplomat von einem anderen irrtümlich erschossen. Um zwischenstaatliche Verwicklungen zu vermeiden, musste der tote Botschafter im Auto heimlich über die Grenze geschafft werden. Die Chauffeuse bei dieser Geheimaktion: Christine von Kohl.
CVK und ihr Mann, damals weit über 80, melden sich nachmittags bestens gelaunt am frühen Nachmittag am Telefon. Was macht ihr gerade? „Wir sitzen hier gemeinsam nackt in der Badewanne und trinken Skenderbek“. „Ja, und …?“ „Weißt Du, wir wollten uns gerade umbringen, aber es hat nicht geklappt, und das muss gefeiert werden“.
Zwei kursorische biographische Skizzen:
Christine von Kohl, als Dänin 1923 in Berlin geboren, war Verlagsmitarbeiterin bei S. Fischer, Journalistin für dänische und schwedische Medien, weiters für NZZ, FAZ, Die Presse, Standard etc., Mitglied der Helsinki-Föderation, Mitarbeiterin im Simon Wiesenthal-Institutes, Gründerin und Leiterin des Kulturni Centar uvm.
Wolfgang Libal, geboren 1912 in Prag, arbeitete lange Jahre als Korrespondent für die dpa, die „Welt“ und andere vor allem deutsche Printmedien, Autor zahlreicher Fachbücher über diverse Staaten Südosteuropas
Herbert Maurer, geboren 1965 in Wien, Schriftsteller, Journalist, Übersetzer, Sprachwissenschafter, Autor von Romanen und Erzählungen, Armenienexperte
Bibliographie: Unter den vielen Artikeln für diverse Medien sowie in BALKAN und BALKAN ANDERS, sowie diversen Fachbüchern, Reiseberichten und Anthologien seien hier die letzten Bücher erwähnt:
Wolfgang Libal, Die Tschechen, Ibera-Verlag
Christine von Kohl, Eine Dänin am Balkan, Wieser-Verlag
Anthologie: Herbert Maurer (Hrsg.) Sprich günstig mit dem Balkan, Edition Atelier
Fotos: aus dem Archiv der „Presse“
bzw. (siehe Anhang) © Gabriela Brandenstein

HERBERT MAURER
geboren 1965 in Wien, studierte Sprachwissenschaften in Venedig, Köln, Bilbao, Jerusalem und Jerevan. Seine Romane, Gedichte, Theaterstücke, Essays und Übersetzungen sind in deutschen, österreichischen und armenischen Verlagen erschienen. Maurer arbeitet auch für Zeitschriften (LETTRE, Die Presse, Wiener Zeitung, Lichtungen, Literatur und Kritik, INTERNATIONAL etc.) sowie fürs Radio und als Dolmetscher, Vortragender und Moderator. Er wurde mit dem Rheingau-Literaturpreis ausgezeichnet und ist Träger der Franz-Werfel-Medaille.
Eine kurze Werkauswahl:
Gnädige Frau oder die Kunst des Tiefschlafs (Erzählungen, Wieser)
Ein Rabenflug (Roman, Wieser)
Venetia (Erzählungen, Eichborn)
Beata, Beatae … (Gedichte, Thanhäuser)
Pannonias Zunge (Roman, Berlin Verlag)
Bitte Regen (neue armenische Literatur, Wieser)
Und Gott spricht Armenisch (Essays, Klever)
Über den Tod (Essays, Ibera)
Byron schwimmt … (Roman, Klever)
Lebendig Sein (mit Martin Salzer) … (Ibera-Verlag)
Himmlisch trauern (B&B – Verlag)
Ästhetik des Abstands (Sonderzahl – demnächst)
www.herbertmaurer.at